Rund 180 Musiker:innen, neun Konzerte und zwei Dirigenten: Im Sommer 2024 arbeitete das Bundesjugendorchester erstmals mit dem international besetzten World Youth Choir zusammen. Auf dem Programm stand zum 200. Werkjubiläum Beethovens 9. Sinfonie, aus der die unbändige Freude und Begeisterung der Jugend spricht. Maestro Tan Dun, der sich als Dirigent mit Jörn Hinnerk Andresen bei dieser Tournee abwechselte, beschenkte die jungen Menschen dazu mit einem neuen Werk, dem „Choral Concerto: Nine“, das auf dieser Sommertournee seine Uraufführung erfuhr.
Das Projekt fand mit freundlicher Unterstützung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Goethe Institut und dem Auswärtigen Amt statt.
Unsere Fagottistin Désirée M. Krems berichtet über ihre Erfahrungen des internationalen Projektes.
Die Sommerarbeitsphase 2024 war eine Zeit, die ich nicht so schnell vergessen werde. Es war eine Phase voller Freude, harter Arbeit, Inspiration und vor allem Musik. Es war mehr als nur Proben und Konzerte – es war eine intensive Zeit des Zusammenhalts, des kulturellen Austausches und der gemeinsamen Leidenschaft für die Musik.
Bereits zu Beginn der Arbeitsphase fühlte ich mich zutiefst geehrt, mit so hochkarätigen Musiker:innen und dem Dirigenten und renommierten Komponisten Tan Dun sowie dem Dirigenten Jörn Hinnerk Andresen zusammenarbeiten zu dürfen. Tan Duns „Choral Concerto: Nine“, das wir uraufführten, war zweifellos eines der Highlights. Die Möglichkeit, Teil dieses besonderen Moments zu sein und die Premiere dieses bewegenden Werkes in internationalen Konzerthäusern wie dem Concertgebouw Amsterdam oder der Elbphilharmonie Hamburg zu spielen, war ein unvergessliches Erlebnis.
Neben Tan Dun und Jörn Hinnerk Andresen hatten wir auch das Privileg, mit herausragenden Solist:innen wie Iris Hendrickx (Sopran), Jo-Pei Weng (Alt), Xavier Moreno (Tenor) und Johannes Schendel (Bass) zu musizieren. Ihre Professionalität und Leidenschaft für die Musik waren unglaublich inspirierend.
Was diese Arbeitsphase jedoch so besonders machte, war nicht nur die künstlerische Arbeit, sondern auch das Miteinander. Das gemeinsame Musizieren und Zusammenleben mit den internationalen Sänger:innen des World Youth Choirs war eine einmalige Erfahrung, die mich tief beeindruckt hat. Bei den „All Star Evenings“ stellte jede:r Musiker:in seine oder ihre Kultur vor – es waren Abende voller Kammermusik, Geschichten und Lieder aus verschiedenen Ecken der Erde. Dieses gegenseitige Interesse und der Respekt vor den unterschiedlichen Kulturen haben das Gemeinschaftsgefühl zwischen dem Bundesjugendorchester und dem World Youth Choir enorm gestärkt. Trotz unserer verschiedenen Herkunftsländer sind echte Freundschaften entstanden, die über diese Arbeitsphase hinaus Bestand haben werden.
Ein besonderer Moment war auch die Zusammenarbeit mit dem Gebärdenchor „Klingende Hände“ aus Euskirchen unter Erika Colon (Künstlerische Leitung des White Hands Chorus Nippon) beim Beethovenfest in Bonn. Es erinnerte uns daran, wie inklusiv Musik sein kann – sie verbindet uns, unabhängig von Sprache, Gehör oder Herkunft.
Inmitten all dieser intensiven musikalischen Erlebnisse und kulturellen Begegnungen gab es auch viele persönliche Glücksmomente. Eines der aufregendsten Erlebnisse war für mich sicherlich das Kennenlernen von Tan Dun persönlich, aber auch das Spielen im berühmten Concertgebouw Amsterdam und die vielen schönen, gemeinsamen Momente mit den anderen Musiker:innen werde ich nie vergessen. Es waren die kleinen Momente des Lachens, der Freundschaft und des Zusammenhaltes, die diese Zeit besonders gemacht haben.
In all dem wurde mir immer wieder bewusst, wie stark diese Arbeitsphase auch ein Sinnbild für Demokratie war. Im Orchester wie auch im Chor müssen wir aufeinander hören, uns gegenseitig respektieren und verstehen, um gemeinsam etwas Großes zu schaffen. Jede:r Einzelne bringt seine oder ihre eigene Stimme, Persönlichkeit und Kultur ein, aber es ist die Einheit, die Harmonie, die am Ende zählt. Diese Arbeitsphase hatnoch einmal deutlich gemacht, wie wichtig der Dialog und das Miteinander sind – nicht nur in der Musik, sondern auch im Leben.
Die Sommerarbeitsphase des Bundesjugendorchesters 2024 war somit nicht nur ein künstlerisches, sondern auch ein menschliches Erlebnis. Sie hat mir gezeigt, wie Musik Grenzen überwindet, Kulturen vereint und uns daran erinnert, wie wichtig Gemeinschaft und Zusammenarbeit sind – Werte, die in einer Gesellschaft unverzichtbar sind.
(Text von Désirée M. Krems)
Was kann das Publikum von diesem Stück erwarten?
Die Menschen sollten eine Antwort auf die Frage erwarten: Was ist die Bedeutung der digitalen Neun in spiritueller Hinsicht? Was ist die Bedeutung von Wein in spiritueller Hinsicht? Was ist die Bedeutung von Zeit?
Wie haben Sie sich für die Wörter entschieden, die Sie für die Satztitel gewählt haben?
Ich habe verschiedene Dichter aus verschiedenen Welten und unterschiedlichen Zeitaltern herangezogen, um mein Libretto zu schreiben. Zunächst habe ich die Poesie von Qu Yuan verwendet, vielleicht eine der frühesten rituellen Opern von vor 2.400 Jahren, bei der die Musik verloren gegangen ist, aber die Worte erhalten geblieben sind. In meiner Fantasie versuche ich, die Musik zu dieser alten Poesie und Lyrik zu ersetzen und so das Verschwundene wiederherzustellen. Ein anderer Dichter, dem ich mich zugewandt habe, ist Li Bai, der vor 1.300 Jahren lebte. Sein Gedicht über die Natur ist so schön – es beschreibt das Zusammenspiel von Mond und Schatten. Mensch und Natur haben eine tiefe Verbindung, und das hat mich schon immer fasziniert ... die Liebe zwischen den Schatten, den Menschen und dem Mond. Ich verwende auch einige Worte von Schiller und zitiere Beethovens berühmte „Ode an die Freude“ – an die Geschöpfe der Natur, die Geschöpfe der Liebe und die Geschöpfe unseres eigenen Geistes.
Im letzten Satz frage ich mich, warum existieren wir auf der Erde, inmitten der Natur? Ist es nicht für den Frieden? Warum müssen wir leben? Wir alle wollen auf dieselbe Weise leben, und in meinem dritten Satz „Time“ hoffe ich, unsere Verantwortung darzustellen, in Frieden mit der Natur zu leben und Frieden unter uns zu schaffen.
Welche Verbindungen oder Ähnlichkeiten gibt es zwischen Nine und Beethovens Sinfonie Nr. 9?
Gleich zu Beginn der „Ode an die Freude“, wenn ich Schillers Worten höre, verkündet er, dass alle Menschen Brüder sind und alle Geschöpfe in dieser einen Welt zusammen sind. Die chinesischen Philosophen Lao Zi und Zhuang Zi, die vor 2.500 Jahren lebten, sagten dasselbe und empfanden genauso. Es gibt also eine tiefe Verbindung zwischen diesen beiden Welten.
Welchen Klang erwarten Sie vom Chor, besonders wenn er nicht auf Englisch singt?
Vieles von dem, was der Chor singt und rezitiert, sind eigentlich leere Worte. Einige stammen aus taoistischen und buddhistischen Traditionen, andere sind einfach nur unsinnige Wörter. „Leere“ bedeutet alles. Nichts existiert in einer dauerhaften Weise. Daher finde ich es sehr interessant, die „Leere“ als Symbol für „alles“ zu verwenden. Beethovens 9. Sinfonie spiegelt wider, wer wir als Menschen sind. Er erfüllt den weiten Raum mit Tönen und erkennt Stille als den schönsten Klang an. Deshalb dachte ich, dass es eine interessante Parallele zu Beethoven sein könnte, wenn der Chor leere Worte oder Vocalisen verwendet, um das Choral Concerto zu singen. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, denn Beethoven ist so riesig, so groß.
Die drei Sätze heißen Nine, Wine und Time – worauf beziehen sich die Titel konkret?
Diese drei Welten, Nine, Wine und Time, heißen auf Chinesisch „Jiu“, „Jiu“, „Jiu“. Alle drei werden gleich ausgesprochen. Diese drei Wörter sind auf so interessante Weise miteinander verbunden ... sie verbinden die Klänge der Natur, die Klänge des Geistes und der Zeit, um ewigen Frieden zu schaffen.
Gibt es in der Partitur Instrumente, die nicht Bestandteil des herkömmlichen westlichen Orchesters sind?
Ich wollte genau dieselbe Instrumentierung verwenden, die Beethoven vor 200 Jahren benutzt hat. Ich wollte mich selbst testen: Was kann ich erschaffen und was kann ich sagen, wenn ich die gleiche Instrumentierung wie Beethoven verwende? Ich finde es sehr interessant: Beethoven benutzte die gleiche Instrumentierung wie Mozart und Monteverdi, und ich nutze die gleiche wie Strawinsky oder Debussy, aber was erschaffen wir? Wir haben vielleicht die gleiche Instrumentierung, aber wir erschaffen eine andere Welt, weil wir aus unterschiedlichen Traditionen kommen, unterschiedliche Sprachen sprechen und unterschiedliche Geschichten haben. Aber unter all dem sind wir gleich, wir kommen aus der gleichen Struktur. Die gleiche Instrumentierung zu verwenden, wie sie Beethoven vor 200 Jahren verwendet hat, ist für mich spirituell viel bedeutsamer.
Bundesjugendorchester
World Youth Choir
Iris Hendrickx (Sopran)
Jo-Pei Weng (Alt)
Xavier Moreno (Tenor)
Johannes Schendel (Bass)
Tan Dun (Dirigent)
Jörn Hinnerk Andresen (Dirigent und Einstudierung)
Giorgio Musolesi (Assistent)
Tan Dun
Choral Concerto: Nine
Auftragskomposition des Deutschen Musikrates, BTHVN2020, Royal Philharmonic Society, Melbourne Symphony Orchestra und der Deutschen Welle
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Sinfonie Nr. 9
Das Projekt stand unter der Schirmfrauschaft der Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth.